Moses Isserles

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Der Sohn eines wohlhabenden Kahalältesten in Krakau, tat sich Moses Isserles schon in jungen Jahren durch seine Gelehrsamkeit sowie durch rege Teilnahme an den Krakauer. Kahalangelegenheiten hervor, um später das Rektorat in der Jeschiba seiner Heimatstadt zu übernehmen. Auf dem Gebiete der Theorie wie der Praxis in gleicher Weise bewandert, wurde er der Mange' der ihm zu Gebote stechenden rabbinischen Gesetzessammlungen gewahr und empfand so das Bedürfnis nach einer neuen Kodifikation des talmudisch-rabbinischen Rechtes. Es war dies gerade die Zeit, als in der Türkei der von der gleichen Überzeugung beseelte Joseph Karo an die Abfassung seines Riesenkommentars zu dem Kodex „Turim" herantrat. Als das Werk später unter dem Titel „Beth Joseph" im Drucke erschien, stellte es jedoch den Krakauer Gelehrten nicht zufrieden und regte ihn zur Abfassung eines neuen Kommentars („Darke Mosche") an; in dem er die Ergebnisse der Forschung seines sephardischen Kollegen in mancher Hinsicht berichtigte und ergänzte. Nachdem dann auch noch der für die weitere Öffentlichkeit bestimmte Kodex des Karo, der „Schulchan Aruch", erschienen war, mußte Moses Isserles feststellen, daß der Verfasser die Entscheidungen der aschkenasischen Autoritäten sowie viele in den deutsch-polnischen Gemeinden geltende religiöse Bräuche („Minhagim") nicht mitberücksichtigt hatte. All diese Mängel wurden nun von Isserles aufs sorgfältigste verzeichnet und die Lücken entsprechend ausgefüllt. So fügte er in den Text des „Schulchan Aruch" in der Form von „Berichtigungen" („Hagahoth") viele neue Gesetzesvorschriften ein, die er auf Grund der im Volke geltenden Bräuche sowie der Praxis der aschkenasischen Rabbiner zur Formulierung brachte. Der wenig bekannte Titel „Tischtuch" („Mappa"), den Isserles seinen „Berichtigungen" gab, brachte das eigentliche Verhältnis seines Werkes zu dem „Gedeckten Tisch" („Schulchan Aruch") des Karo treffend zum Ausdruck. In der Tat sollte erst der mit dem „Tischtuch" bedeckte „Tisch" im Leben der polnischen Judenheit die Bedeutung eines allgemein verbindlichen Kodex des rabbinischen Judaismus erlangen. Auf die erste im Jahre x578 erschienene Ausgabe des Kodex von Karo-Isserles folgten bald viele Neuauflagen (bis 1648 nicht weniger als zehn), die von der außerordentlichen Volkstümlichkeit dieses Werkes zeugen. Der „Schulchan Aruch" schuf seine feste Grundlage für die ganze weitere Entwicklung des polnischen Rabbinismus. Nur wenige Gelehrte wagten es damals, an der Autorität dieses allgemein anerkannten Gesetzbuches zu rütteln. Zu diesen wenigen gehörte vor allem der Zeitgenosse des Isserles, der Enkel eines nach Posen eingewanderten deutschen Juden, Salomo Luria (um 1510-1573), der auch unter dem abgekürzten Namen Raschal bekannt ist. Ein Gegner der neuen exzessiven Schuldialektik, nahm er sich die alte kasuistische Methode der Tossafisten zum Vorbild, die sich auf eine sachliche Analyse des Talmudtextes beschränkte. In diesem Geiste eben verfaßte er seinen vortrefflichen, allerdings unvollendet gebliebenen Kommentar zum Talmud, dem er den Titel „Salomonisches Meer" („Jam schel Schelomo") gab. In allen seinen Untersuchungen zog er ausschließlich die talmudischen Urquellen zu Rate und hatte für die Autoritäten der späteren Zeit nur wenig übrig. Ober die rabbinischen Kodifikatoren (Posskim) ließ er die ironische Bemerkung fallen: „Zwar ist es richtig, daß sie Söhne des Himmels sind, doch muten ihre Erörterungen durchaus menschlich an, weshalb ich such nicht unbedingt einer Meinung mit ihnen sein muß". Selbst der klassische Kodex des Maimonides regte den Geist des Luria zur Kritik an: „Hat doch Moses ben Maimon die von ihm verkündeten Gesetze keineswegs gleich Moses ben Amram aus dem Munde des Allerhöch sten vernommen". Umso weniger Grund hatte er, seine als Autoritäten geltenden Zeitgenossen zu schonen. So verhielt er sich dem „Schulchan Aruch" gegenüber durchaus ablehnend und behauptete, Joseph Karo hätte es bei der Behandlung der Quellen an der nötigen Kritik fehlen lassen und die umstrittenen Rechtsfragen durch einen rein formalistischen Kompromiß zwischen den Ansichten der ihm als maßgebend geltenden Autoritäten zur Entscheidung gebracht. Um Salomo Luria scharten sich viele begeisterte Verehrer und treue Rin-ger, namentlich seit der Zeit, da er als Rabbiner in dem wolhynischen Ostrog zu wirken begann (um 155o). Seine Vorlesungen, die Hörer von nah und fern herbeilockten, machten diese Stadt zu einem geistigen Zentrum der gesamten wolhynischen und litauischen Judenheit. Seine letzten Lebensjahre brachte er in Lublin zu, wo bis zum heutigen Tage eine seinen Namen tragende Synagoge besteht. Luria und Isserles galten als die Hauptstützen des Rabbinismus in Polen. Sie stellten jene Instanz dar, die man um Entscheidung der Fragen des Ritus und des Rechts nicht nur von allen Ecken und Enden ihrer Heimat, sondern auch aus Westeuropa: aus Italien, Deutschland und Böhmen anzugehen pflegte. Die von ihnen erteilten Rechtsgutachten sind in besonderen Responsensammlungen („Schaaloth u'teschuboth") zusammengefaßt. Die beiden rabbinischen Größen standen aber auch selbst miteinander in schriftlichem Gedankenaustausch. Infolge der Verschiedenheit ihrer seelischen Verfassung und ihrer geistigen Interessen kam es freilich nicht selten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen. So verspürte Luria bei aller Nüchternheit seiner Denkweise einen unüberwindlichen Hang zur Kabbala, während Isserles trotz seiner ausgesprochen konservativen Gesinnungsart seine Mußestunden zum Teil der Philosophie zu widmen pflegte. Diese „Schwächen" waren es nun, die die beiden Gelehrten einander zum Vorwurf machten: Luria vertrat den Standpunkt, daß die Weisheit des „unbeschnittenen Aristoteles" zu nichts Gutem führen könne, Isserles aber war der Meinung, daß viele Lehren der Kabbala den Dogmen des Judaismus widersprächen und daß der Mystizismus überhaupt dem Glauben viel abträglicher sei, als eine maßhaltende Philosophie. Isserles hatte in der Tat recht: die Philosophie, mit der er sich befaßte, hätte für die Rechtgläubigkeit wohl kaum gefährlich werden können. Davon zeugt sein großes Werk „Thorath ha'ola", ein buntes Gemisch von an Gedankengänge des „Führers" des Maimonides anknüpfenden religionsphilosophischen Erörterungen und breit ausgesponnenen Betrachtungen über die Bau-weise des Jerusalemer TempeIs sowie über den Opferkultus, in die der Verfasser eine tiefsinnige Symbolik hineindeuten zu müssen glaubt. Daneben sucht, er eine verstandesmäßige Erklärung für viele Gebote und Gebräuche des Judentums und verwehrt es auch den anderen nicht, dem „Sinn der Gebote" („Taame ha'mizwoth") auf den Grund zu gehen, betont jedoch zugleich, daß die Verbindlichkeit all dieser Vorschriften in keiner Weise von der Erfassung ihres Sinnes abhängig zu machen sei: der Glaube dürfe keineswegs dadurch Schaden erleiden, daß er zuweilen mit Vernunft und Philosophie nicht in Einklang zu bringen sei, da Thora und Talmud, in denen die höchste Vernunft beschlossen liege, über alle Philosophie hoch erhaben seien.